Dass Hartz IV dahingehend gescheitert ist für was es ursprünglich mal angedacht war muss hier nicht extra erörtert werden, dessen dürften sich all jene bewusst sein die entweder „von außen“ genauer hinsehen oder in diesem System schlichtweg gefangen sind. Eine Diskussion rund um Hartz IV ist hier also überflüssig. Vielmehr geht es darum, was hinter den Mauern der Jobcenter abläuft. Und das wiederum kennen neben den dortigen Mitarbeitern nur die Betroffenen selbst.
Keineswegs ist zu behaupten, dass alle Jobcenter gleichermaßen mit Personal „bestückt“ sind und identisch ticken. Es gibt sie durchaus, die menschlich denkenden Mitarbeiter-(innen) die auch mal jenes zugeben was die „Kunden“ bemängeln.
Inge Hannemann – freigestellte Mitarbeiterin des Jobcenters Hamburg-Altona – wagte den Schritt an die Öffentlichkeit. Frau Hannemann, die auch in ihrem Blog zu der umfassenden Thematik Stellung bezieht, übte Kritik am Umgang mit „Kunden“ (ein unmögliches Wort) und den teils fragwürdigen Umsetzungen mancher Vorschriften wie z.B. Sanktionen. Das Ergebnis einer nicht repräsentativen Studie zum Thema „Vermessen und Ermessen“ in den Jobcentern lies Frau Hannemann in die Kritik unterstützend mit einfließen.
Unter anderem ergab diese Studie, dass seitens des SGB II von Jobcenter-Mitarbeitern verlangt wird
dass auch solche „Kunden“ in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind, die faktisch, aufgrund der multiplen Vermittlungshemmnisse nicht dazu in der Lage sind.
Klar, dieses Gesetz wurde nicht von den Mitarbeitern der Jobcenter geschaffen, doch sie sollen letztendlich umsetzen was sich gar nicht umsetzen lässt. Jeder der ehrlich zu sich selbst ist sollte zu diesen Fakten stehen. Es hat ein wenig davon, als wollte man in einer Stunde von Hamburg nach München fahren – es geht halt nur mit dem Finger auf der Landkarte.
Der Arbeitsdruck auf das Jobcenterpersonal ist u.a. wegen dieser Umsetzungsforderung als enorm hoch einzustufen. Auch die Größenordnung der zu betreuende Kunden, Krankheitsfälle und vakante Stellen tragen verstärkend mit dazu bei, dass eine „vernünftige Umsetzung“ nicht möglich ist.
Wer, wenn nicht die Mitarbeiter selbst soll auf diesen Missstand aufmerksam machen. Den „Kunden“ wird doch sowieso dahingehend kein Gehör geschenkt.
Aber bei den Jobcentern ist es nicht anders als außerhalb davon: „Wessen Brot ich ess´, dessen Lied ich sing´! Deswegen ist es nicht weiter verwunderlich wenn es kein Mitarbeiter im Jobcenter öffentlich „wagt“ etwas zu sagen, selbst wenn dafür Gründe bestehen. Der letzte in dieser Kette ist nun mal der Hartz IV-Empfänger. Und auf diesen wird dieser Druck nicht selten direkt weitergegeben – notfalls mit Sanktionsandrohungen und dgl. mehr.
Nicht jeder Mitarbeiter kann mit dieser Form von „nach oben kuschen und nach unten treten“ gleich gut umgehen. Inge Hannemann konnte es nicht länger mit sich selbst vereinbaren und sprach aus was „oben“ nicht gern gehört wurde. Dies wurde seitens der Bundesagentur für Arbeit dann so deklariert:
Frau Hannemann hat sich den falschen Beruf ausgesucht. Sie sollte nicht ihre Kolleginnen und Kollegen darunter leiden lassen.
Um diese Aussage richtig einzuordnen braucht es wirklich viel Phantasie.
Inhaltsverzeichnis zum Beitrag
Mord und Selbstmord wegen des Jobcenters
Vorfälle wie in NRW, wo eine Mitarbeiterin eines Jobcenters von einem Arbeitslosen getötet wurde sind zum Glück selten. Zum Glück deswegen, denn diesen Weg einzuschlagen ist ein absolutes No-Go. Gewalt ist nicht nur hierbei keine gute Lösung. Ein derartiges Verhalten kann und will ich nicht für gut heißen, welche Beweggründe derjenige auf gehabt haben mag.
Dass es zu Selbstmorden kommt, weil sich jemand in der ALG II-Spirale gefangen sieht und keinen anderen Ausweg findet ist ebenso traurig. Verlässliche Zahlen darüber gibt es natürlich keine. Bei Selbstmorden wird in diese Richtung wohl nur seltenst ermittelt. Einen direkten Vorwurf an den Jobcenter möchte ich nicht aussprechen.
Doch ich kann mir gut vorstellen, dass es wegen der von Frau Hannemann beschriebenen Vorgehensweisen (oder auch Unterlassungen) von Jobcentern zu solchen persönlichen Dramen kommt. Nicht jeder „Kunde“ ist psychisch so stark, dass er diesem ganzen Verwaltungswahnsinn dauerhaft standhalten kann.
Dass es solche tatsächlich Todesfälle gebenkann zeigt auch der kürzlich erschienene Artikel des Hartz IV-Netzwerk-Essen e.V., auch wenn es sich hierbei um keinen Selbstmord als solches handelte sondern um die traurige Folge einer der viele Fehleinschätzungen des ärztlichen Dienstes der Jobcenter. Glücklicherweise überlebte der Hartz IV-Empfänger, wenn auch sehr knapp. In diesem Fall stellt sich dringend die Frage wie es sein kann, dass ein Jobcenter (ärztlicher Dienst) Diagnosen behandelnder Hausärzte einfach ignorieren bzw. mittels einer „10-Minuten-Untersuchung“ umstoßen darf.
Körperverletzung im Amt ist hier das Mindeste was angenommen werden muss. Und wen würde es rein emotional betrachtet tatsächlich verwundern, wenn angesichts solcher Vorkommnisse in Essen ein Angehöriger ebenfalls „rot sehen“ würde?
Mit Schuld daran, dass aus Verwaltung ein Wahnsinn wird sind z.B. auch die diversen Textblöcke die in die Schreiben der Jobcenter eingefügt werden. In denen wird sofort angedroht, dass es zu Streichungen von Geldern kommt wenn man nicht bis zu einem bestimmten Datum das tut was gefordert wird. Diese „Drohgebärden“ werden auch in Schreiben eingefügt, in denen sie aus meiner Sicht völlig unsinnig sind. Dies bestätigte mir übrigens auch schon mal eine Mitarbeiterin.
Mitarbeitergefährdung in den Jobcentern
Frau Hannemann jetzt gewissermaßen wegen ihrer Äußerungen für Übergriffe von „Kunden“ auf Mitarbeiter verantwortlich machen zu wollen halte ich für maßlos überzogen. Die BA schreibt in ihrer Presseerklärung:
Sie bringt ihre Kolleginnen und Kollegen in Gefahr, die sich zunehmend Aggressionen von Seiten der Kunden ausgesetzt sehen.
Diese Aggressionen gibt es schon länger als das sich Frau Hannemann an die Öffentlichkeit gewandt hat. Ich hatte bereits erwähnt, dass ich von dieser Art der Argumentation eines „Kunden“ absolut nichts halte. Ich erachte es auch keinesfalls für richtig und verurteile dies ganz entschieden.
Allerdings – und so viel muss gesagt werden dürfen – gibt es in den Reihen der Mitarbeiter durchaus Personen die vor Arroganz nur so strotzen und diese dem Kunden gegenüber auch ganz bewusst ausspielen. Ob dies auf Druck von oben geschieht oder aus persönlicher Motivation heraus sei dahingestellt. Ganz nach dem Motto „ich hab die komplette Macht über Dich“. Notfalls wird diese „Macht“ mit einer erzwungenen Eingliederungsvereinbarung untermauert, die dann vom Bundessozialgericht wieder als rechtswidrig zurückgenommen werden muss.
Wenn ein Jobcentermitarbeiter mit diesem absolut inakzeptablen Verhalten auf einen Kunden trifft welcher der reizbareren Sorte zuzuordnen ist werden solche Zwischenfälle vermutlich leider immer wieder zu verzeichnen sein. Dies Frau Hannemann zur Last legen zu wollen ist in meinen Augen hanebüchen.
Im Ton vergriffen
Mag sein, dass sich Frau Hannemann etwas im Ton vergriffen hat, in den Texten die ich gelesen habe konnte ich jedoch nichts finden das so einzustufen wäre. Jedenfalls ist dies so bei der Zentrale der Bundesagentur in Nürnberg so angekommen – Ansichtssache. Ihre Beweggründe diesen Weg zu gehen kann ich nachvollziehen. Ganz alleine bin ich damit nicht, denn u.a. auch aus den eigenen Reihen der deutschen Jobcenter kommt Unterstützung für Frau Hannemann – Unterstützung in Form von Bestätigungen der Schilderungen Hannemanns. Täuschen sich diese Leute wirklich alle obwohl sie täglich mit der Situation konfrontiert sind?
Leider haben eben zu wenige Mitarbeiter-(innen) den nötigen Mumm sich ebenfalls öffentlich zu äußern. Ein Schelm der hier denkt, dies könnte wegen der Angst sein den Arbeitsplatz zu verlieren.
Ohne jetzt geltendes Gesetz hier in Frage stellen zu wollen, Kritik wird nicht immer gerne als konstruktiv angesehen. Um so weniger, wenn staatliche Stellen kritisiert werden. So auch bei der Bundesagentur für Arbeit die am 14.06.2013 eine Presseerklärung herausgegeben hat. Dort heißt es u.a.
Wer in einem Jobcenter arbeitet, hat sich an Recht und Gesetz zu halten.
Der Mitarbeiter hat sich an Recht und Gesetz zu halten – sehe ich auch so. Aber tun es denn wirklich alle? Hierzu ein kleiner, „selbst erlebter Schwank“. Würden sich Jobcenter generell an geltendes Recht halten, dann sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass durch das Sozialgericht mittels Verfügung festgestellte Tatsachen nicht nur wahrgenommen sondern eingehalten werden. Das absolute Gegenteil ist der Fall.
Trotz dieser gerichtlichen Verfügung schickt das Jobcenter weiterhin fleißig Mahnungen in teils großer Zahl, selbstverständlich mit den bereits angesprochenen Drohgebärden. Darauf angesprochen wird dann sogar noch abgestritten Mahnungen verschickt zu haben, obwohl diese nachweislich auf dem Tisch liegen. „Recht und Gesetz“ sieht in meinen Augen etwas anders aus.
Mein Fazit
Auf beiden Seiten – ALG II-Empfänger und Jobcentermitarbeiter – gibt es schwarze Schafe. Wenn der Bundesagentur für Arbeit bzw. den Jobcentern als solches das Recht zusteht die schwarzen Schafe unter den Hartz IV-Empfängern zu rügen muss es im umgekehrten Fall genauso sein. Nur weil Arbeitslose eine sehr schlechte Lobby haben gibt dies weder den Jobcentern noch dem Gesetz das Recht diese Leute mit allen möglichen Maßnahmen zu piesacken. Die Flut an Klagen vor den Sozialgerichten ist u.a. auch darauf zurück zu führen, dass die Jobcenter teils willkürlich handeln.
Frau Hannemann sprach aus was viele denken bzw. wissen, nicht zuletzt auch die Jobcentermitarbeiter selbst. Hier eine Art von Mundtotheit herbeiführen zu wollen ist das letzte was Deutschland gebrauchen kann.
Einfach mal als Zeuge zur Verfügung stellen und ein Laar Leute zum Jobcenter begleiten, da erlebt man wunderliches, wie zum Beispiel die Verweigerung einer Angestellten, den Empfang eines Schreibens zu quittieren, oder gar die Verweigerung den Empfang des Verlängerungsantrages zu bestätigen. Dabei ist es so einfach, Eingangsstempel und Handzeichen. Mich wundert es nach einer Woche nicht, das nicht in jeder Stadt, jede Woche einer der Kunden Amok läuft.
Allerdings muss man auch die Mitarbeiter verstehen, besonders diejenigen, die von der Arbeitsagentur (Bundesbeamte) zu den Jobcentern (Kommunalbeamte) abgeschoben werden, mit den Versprechen, keine Einbuße des Gehaltes zu erfahren. Nach 6 Monaten und der verpassten Möglichkeit zur Rückkehr in die BA kommt dann das nette Schreiben sie wären im Vergleich zu ihren Kollegen überbezahlt und bekämen keine Erhöhung der Bezüge, bis sich diese angeglichen hätten (i. d. Regel ca. 1,5 Jahre oder in Euronen umgerechnet ca. 240). Das diese Mitarbeite einen dicken Hals, sprich eine sehr geringe Motivation haben, versteht sich von selbst.
Es ist halt ein sehr perfides System, dieses Hartz!
@Aquii: Die „Abschiebung“ vom Bundesbeamten zum Kommunalbeamten ist natürlich nicht in Ordnung wenn es hinterher mit finanziellen Einbußen einhergeht. Noch weniger in Ordnung ist es aber diesen Frust auf Hartz IV-Empfänger abzuschieben. Anstelle jetzt zu schweigen sollten viel mehr Jobcentermitarbeiter aufstehen und Farbe bekennen. Wenn nicht jetzt wann dann? Man könnte sonst leicht den Eindruck gewinnen, dass unter den Mitarbeitern auch Leute sind denen es „Spaß macht“ andere zu trietzen.
Und wenn die Hartz IV Empfänger nach einem Suizid tot in der Wohnung aufgefunden werden,
hatten sie „Probleme und waren krank“. Abtransport! Das war es.
Solange es Sanktionen gibt, solange wird es auch Aggressionen gegenüber Mitarbeitern der Jobcenter geben – genauso wird es Mitarbeiter geben, die diese Sanktionen ausnutzen, um ihre Macht zu demonstrieren. Man sollte sich das einmal genau überlegen, durch Sanktionen wird das Existenzminimum noch einmal gekürzt, man fällt also unter das Minimum, welches zur Existenz benötigt wird – wenn es ganz schlimm läuft, wird es ganz gesperrt. Das bedeutet, dass die Jobcenter, weil sie es können und dürfen, gezielt Menschen verhungern lassen können. Sie können dafür sorgen, dass die Menschen ihre Wohnung verlieren und das sie Obdachlos werden. Und dann kann ich Menschen verstehen, die in ihrer Existenz so bedroht sind, dass sie es als Notwehr ansehen, sich gegen den Mitarbeiter zu wenden, der ihre Existenz bedroht.
Da wundert es mich, dass es nicht mehr Mitarbeiter gibt, die sich dessen nicht mehr Schuldig machen wollen und die diese Missstände ansprechen. Dass das natürlich nicht gerne gesehen wird, weil dadurch ja plötzlich die Arbeitslosen eine Lobby bekommen könnten, sollte jedem bewusst sein. Deswegen ist es schön und gut, dass diese Mitarbeiterin endlich die Stimme erhebt.
@Kay: Punktgenau argumentiert.
@Sven:
Das ist ein Satz, den man in Nürnberg sicherlich nicht gerne lesen wird. Ich kann aber nichts dagegenhalten, selbst wenn ich das wollte. Denn wenn alle ALG II_Empfänger über ein und denselben Kamm geschoren und sanktioniert werden ist es zwangsläufig so, dass es zu derartigen Auswüchsen kommt. Was die von Dir angesprochene „Notwehr“ angeht… ja klar, ich weiß was Du meinst. Mir wäre es das allerdings nicht wert, wenn ich wegen der Sturheit (oder was auch immer) eines Jobcentermitarbeiters mit der Justiz in Konflikt geraten würde. Wie gesagt… mir wäre es das nicht wert. Das es auch andersdenkende Leute gibt beweisen die Vorfälle in NRW exakt.
Die Stimme erheben ja… wenn nicht jetzt wann denn überhaupt?
Naja, die Hemmschwellen sinken, wenn man in die Ecke getrieben wird. Ich würde auch sagen, ich würde mir die Finger nicht schmutzig machen, aber das eben aus der jetzigen Situation heraus – was wäre, wenn ich wirklich in dieser Situation wäre, kann ich nicht sagen.
@Sven: Die neuesten Erkenntnisse mit den „geschönten“ Arbeitslosenzahlen zeigen ja deutlich, dass auch wenn sich die Zentrale in Nürnberg stets unbedarft gibt… alles einwandfrei ist dort definitiv nicht. Ein Grund mehr den Aussagen von Frau Hannemann kein Misstrauen entgegen zu bringen.